Geißeln, hier Gaisl genannt, gibt es in den Pragser Dolomiten vermutlich mehr als in einem Sado-Maso-Shop. Eine Kleine, eine Niedere, eine Pragser, eine Schlechte, ein Gaisele und schließlich noch die Hohe Gaisl.
Ein bisschen Masochismus gehört schließlich auch dazu, sich ausgerechnet mit diesem roten Schrofenmonster anzulegen, dass die Italiener Croda Rossa nennen.
Dolomitenpapst Richard Goedeke schreibt in seinen „3000er der Dolomiten“
Wohl der alpinste unter allen 3000er der Dolomiten. Selten angegangen und noch viel seltener erfolgreich bestiegen. Das liegt weniger an den technischen Schwierigkeiten, – diese gehen bei richtiger Routenfindung über Stellen IV nicht hinaus- als an den Dimensionen des Berges und der Tatsache das der Berg weithin nicht nur nicht abgekletterten sondern auch in der Substanz brüchigen Fels aufweist.
Das klingt wie Musik, flößt aber auch eine ganze Menge Respekt ein.
Ganz so schlimm kam es dann doch nicht. Mag sein, dass der Altmeister des Dolomitenkletterns hier etwas übertreibt, oder auch, dass jemand, der pfadlose Anstiege in den Allgäuer und Lechtaler Alpen im III Grad gewohnt ist, beim Thema Brüchigkeit ein anderes Schmerzempfinden hat, als jemand, für den ein geröllbedecktes Band schon eine widernatürliche Erscheinung darstellt.
Das für so ein Unternehmen Wetter und Verhältnisse passen müssen, versteht sich von selbst. Daraus ergibt sich, ein spontaner Aufbruch, wenn diese eben passen.
Erfahrungsgemäß braucht im August in den Dolomiten gar nicht erst zu versuchen, eine Unterkunft für eine Nacht zu finden, wo einem auch noch zu früher Morgenstund das Frühstück serviert wird. Somit verbleibt ein Parkplatzbiwak am Ausgangspunkt.
Dieser Ausgangspunkt ist die kitschig schöne Plätzwiese. Eine Dolomitenlandschaft wie aus dem Bilderbuch. Eine sanfte hügelige Wiese, mit alten Bäumen und Heustadeln vor wilden Felsbergen.


Zustiege sind in den Dolomiten bekanntlich kurz und so stehen wir schon recht bald unter der von der Morgensonne beschienenen rotgoldenen Ostwand der Hohen Gaisl. Beim Einstieg in die Winklerschlucht wird klar, warum Goedeke schreibt: „noch viel seltener erfolgreich bestiegen“ Steiles, zusammengeklebtes Geröll, darunter schwarzes Eis. Dazu Dauerbeschuss von oben. Der ganze Berg scheint auseinander zu fallen. Wenn das so weitergeht,können wir den Aufstieg vergessen. Eine Trittspur leitet oberhalb von geröllbedecktem Eis aus der Schlucht hinaus auf eine kleine Kanzel. Nach ein paar heiklen Metern haben wir dieses steinschlägige Kanonenrohr verlassen und die Welt sieht schon wieder ganz anders aus.

Dezente Trittspuren führen über kleine Felsstufen nach oben. Zwar liegt einiges an Geröll herum, der Fels darunter ist durchaus brauchbar. Stellenweise richtig genussverdächtig. Dieser Genuss steigert sich noch in der langen Kaminreihe und der anschließenden exponierten Querung hinaus zum Ostgrat. Alles im unteren III Grad. Ich bin froh um meine Klettersteigturnschuhe.. Im zusammengebackenen Geröll der Einstiegsrinne habe ich diese noch verflucht.


Dolomiten plaisier?
Vor der ersten IV-er Stelle seilen wir an. Der Fels ist fest und griffig und in dem abdrängenden Wulst der Schlüsselstelle stecken zwei Bohrhaken im 3 Meter Abstand. Dolomiten plaisier also. Nach zwei weiteren Seillängen in unteren IV oder oberen III Grad verstauen wir das Seil wieder im Rucksack. Die Felsqualität lässt wieder etwas nach, bleibt jedoch erträglich. Hin und wieder weisen rote Punkte den Weg. Dieser schlängelt sich elegant durch den oberen Teil der Ostwand empor zum Gipfelgrat ohne dabei den oberen II Grad zu überschreiten. Nach einer kurzen exponierten Klettereinlage über die Türme des Gipfelgrates liegt uns das rote Schrofenmonster zu Füßen.

Das Panorama ist überwältigend. Einer jener selten Hochsommertage mit fast grenzenloser und klarer Sicht. Zwar gehört die Gaisl nicht zu denen Orten an denen man sich durch die bloße Anwesendheit was schönes eingebrockt hat, doch all zu lange sollte man am Gipfel angesichts des bevorstehenden Abstieges doch nicht verweilen. Zunächst mal ist abklettern angesagt. Nie wirklich schwierig, nicht wirklich heikel, aber doch ständig Konzentration fordernd und immer ein bisschen anspruchsvoll. Die schwierigsten Passagen lassen sich problemlos mit abseilen überwinden. Gut eingerichtete Abseilstellen vermitteln ein Gefühl der Sicherheit.

Als besonderes Plus erwies sich die neue Abseilpiste vom Ostgrat durch den unteren Teil der Südostwand. Nach dreimaligem Abseilen erreicht man unschwieriges Schrofengelände. Damit war auch die unangenehme Einstiegsschlucht umgangen. Ein letztes Mal sorgte die Route für Spannung. Die Frage, ob man auf dieser Abstiegsroute wieder zur Plätzwiese absteigen kann, blieb bis zum Erreichen der Pinscharte offen. Erst hier wird die Geröllrinne sichtbar, die den direkten Abstieg zu Plätzwiese ermöglicht.
Stilecht sind wir nach der Tour im Badhotel Altprags abgestiegen. Ein altes Hotel aus der K&K Zeit. Kostengünstig, bietet im Falle von schlechtem Wetter ein Dach über dem Kopf und ruhig gelegen. Etwas heruntergekommen zwar aber nur fünf Fußminuten von Pizza und Rotwein entfernt

Fazit:
Eine rundum eindrucksvolle Tour. Mit Ausnahme der ersten 50 Meter guter bis brauchbarer Fels. Dazwischen reichlich Geröllablagerungen. Somit gefährlich wenn mehrere Partien gleichzeitig unterwegs sind. Besonders wenn am Seil gegangen wird. Stets anspruchsvoll, aber nie wirklich heikel oder gefährlich. Wenn man den richtigen Zustieg benutzt (im Karboden in Aufstiegsrichtung links) angenehmer und kurzer Zustieg. Um das Zeitbudget nicht zu stark zu strapazieren, sollte exponiertes II-er Gelände im Aufstieg und im Abstieg seilfrei begangen werden.
Vergleichtour:
Hoher Zwölfer (Sextner Dolomiten), Langkofel. Letzeren empfand ich als anspruchsvoller
Ausgangspunkt Plätzwiese ca. 2000 m, diese ist von Norden aus dem Pustertal über das Pragsertal zu erreichen. Die Straße ist mautpflichtig und unter tags gesperrt. Die aktuellen Verkehrsregeln findet man hier.
Karte: Tabacco Karte 031 Pragser Dolomiten Enneberg
Führer: 3000er in den Alpen. Die Normalwege: Südliche Ostalpen mit Dolomiten
Hütten: keine
Ausrüstung: Einen Strang eines 60 m Doppelseils reicht. Im Aufstieg reichen 30 m Seillänge aus. Stand immer an den Abseilketten alle 25 m., ca. 5 Exen, ein Satz Keile und ein paar Bandschlingen.
Höhenunterschied: ca. 1.200 m ab Plätzwiese
Schwierigkeit: im Fels Stellen bis IV, anhaltend II-III und exponiert.
Topo: http://www.hochpustertal.info/media/b147c1d5-9d66-46c3-8873-499b8539a82e/hohe-gaisl-innerkofler.pdf
Geeignet für wen? Bergsteiger die auch klettern und einen großen, nicht überlaufenen Dolomitengipfel besteigen möchten. Kletterer, für die der Klettergenuß und die Schwierigkeit nicht an erster Stelle stehen, denen das alpine Gesamterlebnis wichtig ist. Stellen bis III sollten im Aufstieg aus Zeitgründen seilfrei beherrscht werden.
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