Tief im Süden, wenn man die Alpen, von Norden kommend schon hinter sich gelassen hat, tauchen bei der Fahrt durch die schwül-dunstigen Poebene nochmals Berge am Horizont auf. Viele Berge, hohe Berge. Nicht irgend ein unbedeutendes Anhängsel der Alpen sondern zusammen mit den Cottischen Alpen rund ein Drittel der selben. Hier ist dann schon einiges anders als in Bayern, Tirol, der Schweiz und dem angrenzenden Norditalien. Die Berge sind ruhiger, das Wetter meist völlig anders als im typischen Nord-Süd Schema erwartet, kaum Verbotsschilder, Parkautomaten und sonstige spassverderbende Regularien. Dafür verfallene Dörfer, schlechte Landkarten und eine schier unerschöpfliche Vielfalt an Tourenmöglichkeiten jeglicher Schwierigkeit. Für mich zählt der südliche Alpenbogen vom Mt. Blanc bis zur Ligurischen Küste zu den besten Skitourenrevieren der Alpen, wenn nicht gar weltweit.
Entdeckt habe ich die Seealpen für mich durch einen Zufall. Wir hatten nach der Rückkehr aus Kirgistan noch eine Woche Urlaub und nahezu im gesamten Alpenraum herrschte schlechtes Wetter mit Ausnahme des äußersten Südwesten. Gibt es südlich von Dauphine und Monviso überhaupt noch Berge und vor allem Schnee? Dank häufiger Genuatiefs sind die Berge trotz ihrer südlichen Lage meist gut eingeschneit. Der Zweite Besuch war dann schon mehr geplant und nicht nur ein Ausweichziel, weil es überall anders zu schlecht gewesen ist. Der nächste Besuch wird mit Sicherheit eine Zielfahrt genau dorthin ins Val Stura, Val Maira und das Val Ubaye.
Da es keine deutschsprachige Literatur gibt, nachstehend ein paar Tipps
Allgemeines
Skitouren gibt es in allen Schwierigkeiten. Von der gemütlichen Wald- und Wiesentour am Beginn des Val Maira bis zum extremen Coloir in der Agentera- oder Chamberyon-Gruppe. Einzig größere Gletscher fehlen. Da viele Dörfer in den Seitentälern verlassen sind, sind die Zufahrtsstraßen nicht immer geräumt, was manche Tour deutlich verlängert oder verunmöglicht. Trotz der Nähe zu den Ballungszentren Turin und Cuneo sind die Berge meist recht ruhig, da sich die Tourengeher auf die unzähligen Möglichkeiten verteilen. Aus dem deutschsprachigen Raum kommen meist organisierte Gruppen mit Bergführer.
Der ganzjährig geöffnete Col di Larche ermöglicht es rasch von Italien nach Frankreich, also vom Val Stura ins Val Ubaye zu wechseln. Die anderen Täler sind Sackgassen.
Übernachtung:
Wir hatten selbst über Ostern keine Probleme am gewünschten Ort eine Unterkunft im Tal zu finden. Entweder würde ich ein Appartement empfehlen, da man hier das Frühstück selbst zur notwendigen Zeit zubereiten kann. Oder eine der typischen Skitourenpensionen. Zwei Beispiele:
Der Albergo Pace in Sambuco ist auf Skitourengänger spezialisiert. Es gibt Frühstück ab 5.00 Uhr inkl. Lunchpacket und ein extrem leckeres und reichhaltiges Menü am Abend. Nicht gerade billig aber trotzdem ein absolut faires Preis-Leistungs-Verhältnis.
Das Gite de Etape in Larche auf der französischen Seite ist so etwas wie eine Hütte im Tal. Preiswert aber eben eine Hütte, kein Hotel.
Die Hütten haben in der Tourenzeit in der Regel geschlossen. Die Winterräume sind meist offen, aber nicht beheizbar und spartanisch eingerichtet.
Lawinenlageberichte
Gibt es grundsätzlich nur in der jeweiligen Landessprache. Etwas nachteilig ist es, dass die von EAWS festgelegte Untermalung mit Piktogrammen dort noch nicht umgesetzt wurden. Wenn man nur ein paar Brocken Italienisch kann und einem zu Französisch der intellektuelle Zugang fehlt, helfen eigene Interpretationen und mit einem Gewissen Humor auch eine Google-Übersetzung.
Auslösende Skifahrer können leicht einen Teller auslösen, sogar für einen Wanderer allein, besonders wenn sie sich Grate und Hügelrisse nähern. Besonders Misstrauen in den Richtungen von Westen nach Osten durch den Süden, wo starke Brüche zu befürchten sind. Das Risiko ist oberhalb von 2200 m ausgeprägter. Spontane Abfahrten nach einer exzellenten Nachtfrischung, die Befeuchtung wird am Montagtag wieder aufgenommen. Einige Lawinen von bescheidener Größe können dann an steilen Hängen in der Sonne auftreten. Das besorgniserregendste Risiko ist jedoch, dass sehr viel Schnee in den Bergen vorhanden ist, auch wenn es viel seltener ist, wenn man eine sehr große Lawine in Form einer Platte sieht, die alleine fällt und scharrt der ganze nasse Schnee auf den Boden. Auch das Abwürgen einer Bodenplatte in einem sonnigen Hang ist nicht auszuschließen, wobei manchmal krabbelnde Risse zu sehen sind. In beiden Fällen müssen wir mit der Bewegung ungewöhnlicher Schneemengen rechnen
Karten:
Auf italienischer Seite ein Trauerspiel. Gute Karten gibt es hingegen in Frankreich.
Führer:
Es gibt zahlreiche italienische Skitourenführer. Augenscheinlich auch recht gute. Deutschsprachige Literatur für den Winter gibt es nicht. Es ist lediglich ein Wanderführer für den Sommer erhältlich. Oftmals hilfreich: Das italienische Tourenforum Gulliver.it
Versorgung
Wer in einer Pension wie dem Pace in Sambuco absteigt, der braucht sich dank Rundumversorgung um nichts zu kümmern. Selbstversorgern ist dringend zu raten, die notwendigen Dinge für das Frühstück und das Abendessen von zu Hause mitzubringen oder spätestens in Cuneo oder Borgo San Dalmazzo einzukaufen. Sonst springt man frustriert von Alimentari „‘S gibt nix“ zum Alimentari „hat nix“ um das Abendessen zusammen zu kaufen. Das gleiche gilt für Führer und Karten.
Bei schlechtem Wetter
Für einen Tag ein zum Vorräte Einkaufen, Eis essen usw. nach Borgo oder Cuneo. Vielleicht sind ja dort auch die zahlreichen Kletterfelsen trocken. Bei längerem Schlechtwetter einfach auf und davon, denn in diesen Tälern fällt einem sonst bald die Decke auf dem Kopf. Kleiner Tipp. Auf der jeweils anderen Seite des Hauptkamms kann die Welt schon wieder anders ausschauen.
Unsere Touren (Auszug)
Da es keine deutschsprachige Literatur gibt, möchte ich kurz einige Touren vorstellen.
Cima di Corborant 3010 m.
Ausgangspunkt: Bagni di Vinadio
Höhenunterschied: ca. 1800 m
Schwierigkeit: ZS+
Charakter: Anspruchsvolle Tour auf einen schönen 3000er. In der Regel wird man im Gipfelbereich teilweise zu Fuß aufsteigen.
Mont Tenibre 3001 m.
Ausgangspunkt: Pietraporzio
Höhenunterschied: ca. 1800 m
Schwierigkeit: ZS
Charakter: Anspruchsvolle Tour auf einen schönen 3000er mit langem Talhatscher und einigen steilen Passagen und schönen Abfahrtsvarianten
Testa della Costabella 2758 m.
Ausgangspunkt: Pietraporzio
Höhenunterschied: ca. 1550 m
Schwierigkeit: WS
Charakter: Eher leichte Skitour. Wir häufig von organisierten Gruppen besucht. Lästige Waldstufe, die sich bei der Abfahrt gut durch eine steile Variante (in der Karte blau markiert) umgehen lässt. Siehe Kartenausschnitt Mont Tenibre!
Abfahrt von der Costabella
Pointe Basse de Mary 3126 m
Das Refuge Maljasset liegt in 1.900 m Höhe im hintersten Val Ubaye und ist mit dem Auto auf einer schlechten Straße anfahrbar. Die Hütte erschließt ein herrliches Tourenrevier. Wir haben die Pointe Basse de Mary bestiegen und zuvor einen Abstecher in die wilde Chambeyron-Gruppe unternommen.
Ausgangspunkt: Refuge Maljasset im hintersten Val Ubaye
Höhenunterschied: ca. 1300 m
Schwierigkeit: ZS
Charakter: Überwiegend gemütliche Tour mit allerdings recht steilem Gipfelbereich und überragender Aussicht.
Touren südlich von Larche
Auf der französischen Seite, südlich des kleinen Dörfchen Larche gibt es eine ganze Reihe leichter bis anspruchsvoller Touren, von denen sich einige, wie der Tete de Plate Longe auch für unsichere Verhältnisse eignen. Allen gemeinsam ist die nordseitige Ausrichtung, die lästige Waldstufe zu Beginn und das Idealskigelände weiter in den oberen Bereichen. In Larche gibt es zwei „Gite de Etape“ zum Übernachten mit Halbpension , ansonsten nichts. Wir haben in zwei Tagen die drei, auf unten stehender Karte markierten Gipfel bestiegen.
Monte Oronaye 3104 m
Der „‚Dreitäler-Gipfel“ (Ubaye, Stura, Maira) ist ein markanter Kalkklotz. Eine zunehmend steile Rinne führt von Südosten zum Gipelgrat. Dessen Überwindung erfordert auf ca 20 Metern exponierte Kletterei. Die Route ist bekannt unter dem Namen Couloir Sud.
Ausgangspunkt: Passstraße ca ein Kilometer westlich des Col de Larche
Höhenunterschied: ca. 1300 m
Schwierigkeit: S, Kletterei II-III
Charakter: Zunächst flaches Skigelände, dann sonnige Südhänge und eine Rinne zwischen 30 und 45 Grad. Zum Schluss kurze Kletterei am exponierten Gipfelgrat.
Monte Sautron 3166 m
Ein schöner 3000, der sich überraschend einfach ersteigen lässt. Nur der Gipfelhang erfordert sichere Verhältnisse. Bei der Abfahrt bietet es sich an, die „La Meyna“ zu umrunden und über den Col Mallemort über steile Südhänge direkt nach Larche abzufahren
Ausgangspunkt: Larche
Höhenunterschied: ca. 1500 m
Schwierigkeit: WS+
Charakter: Zunächst flaches und mäßig steiles Skigelände. Nach einem steileren Schartenanstieg folgt die zunehmnd steile, nordwestexponierte Gipfelflanke. Bis gut 35 Grad
Monte Savi 2615 m
Der Monte Savi bietet eine schöne Firntour über verlassen Dörfern. Eindrucksvoll führt diese Tour vor, was passiert, wenn Dörfer und ganze Täler verlassen werden. Wo es andernorts zu viel Tourismus gibt, samt Überlastungserscheinungen und Dichtestress, gibt es hier zu wenig. Die Menschen verlassen ihre Dörfer. Entsprechend ist die Zufahrtstraße auch nicht geräumt und somit der tatsächliche Beginn der Tour und die Höhenmeter flexibel.
Ausgangspunkt: Vinadio
Höhenunterschied: je nach Straßenzustand 1100 bis 1700 m
Schwierigkeit: WS+
Charakter: Zunächst Hatscher auf nicht geräumter Straße, dann schöne, nicht all zu steile Südhänge und ein steiler Gipfelhang.
Monte Viridio 2495 m
Die Berge im Val Grana sind etwas sanfter, nicht so hoch und eignen sich auch für den Hochwinter und etwas kritischere Verhältnisse. Allerdings ist bei Neuschnee die Zufahrt ins Tal nicht ganz ohne.
Ausgangspunkt: Chiappi, Val Grana
Höhenunterschied: ca. 900 m
Schwierigkeit: WS-
Charakter: Mäßig steiles nordseitiges Gelände
Karten in Italien sind kein Trauerspiel:
https://www.fraternalieditore.com/mappe-cartacee-125000/
https://www.fraternalieditore.com/negozio/mappe-escursionismo-125000/15-valle-gesso-parco-naturale-delle-alpi-marittime/
Wenn Du magst, kann ich Dir das 1:25000 Blatt vom Val Maira mal zuschicken.
Willst Du ganz sicher gehen, helfen die (sauteuren und nicht einfach zu bekommenden) IGM- Karten.
Papierkarten gibt es ohnehin nur noch zur Planung, vor Ort habe ich das i.d.R aufs Handy geladen.
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Als Ansprechpartner im Val du Stura kann ich Katia Tomatis, Wirtin des Rifugio Malinvern empfehlen.
neve.katy@gmail.com
http://www.rifugiomalinvern.it
Sie ist im Winter komplett auf Skitouren/Skibergsteigen fixiert, Autorin von Führern, hat beste Kontakte und spricht sehr gut Englisch.
Sie gibt gerne Auskunft, kann aber auch Kontakte für bergsteigertaugliche Übernachtungsmöglichkeiten herstellen.
Kennt speziell auch die Zustände der Winterräume.
… Heizmöglichkeit hat keiner.
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