Fehlentwicklungen auf Alpenvereinshütten

Im Zeitraum von etwa 1870 bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs wurden von Alpenverein (damals noch DuOeAV) zahlreiche Hütten in den Alpen errichtet, um ihren satzungsgemäßen Auftrag zu erfüllen. Dieser lautete sinngemäß „Bergfahrten in den Alpen zu fördern und erleichtern“ . Erst nach und nach brachten steigende Besucherzahlung die Notwendigkeit mit sich, eine Hütte zu bewirtschaften. Der Umfang der Bewirtung und der nötige Komfort stellten seit jeher ein Streitthema dar.

In den Nürnberger Leitsätzen von 1919 wurde beschlossen, dass die Ausübung, Ausbildung und Förderung des Bergsteigens die Kernaufgabe des Alpenvereins sei. Künftige Hütten sollten nur bergsteigerischen Interessen dienen, überflüssiger Komfort auf den Hütten wurde abgelehnt. Ruhe, Ursprünglichkeit und ungestörter Naturgenuss sollte in den Alpen bewahrt werden und die hochalpinen Regionen nur den Bergsteigern vorbehalten bleiben.

Von diesem Ideal sind die bewirteten Alpenvereinshütten weit entfernt. Völlig richtig ist es, dass man Komfort, Technik, Brandschutz, Entsorgung usw.  an den technischen Fortschritt anpasst. Über das, was ein überflüssiger!!! Komfort ist, kann man unterschiedlicher Meinung sein.  Dass eine Hütte nur bergsteigerischen Interessen dienen soll, darf nicht in Frage gestellt werden. Die beschriebene Situation betrachtet in erster Linie die Alpenvereinshütten in den Allgäuer Alpen, allerdings mit bewußtem Blick über den Tellerrand hinaus.

Die heutige Praxis sieht anders aus. Zahlreiche Hütten werden regelmäßig von Bergschulen blockiert, die alpin völlig untaugliches Publikum auf „Komfortwanderungen“ über die Alpen schleusen. Hinzu kommen kundenunfreundliche Hüttenreservierungssystem und nicht selten die Weigerung oder die Unfähigkeit der Wirte, über die umliegenden Touren und die aktuellen Verhältnisse eine qualifizierte Auskunft zu geben.

Wer schon mal auf der Kemptner oder Memminger Hütte als Bergsteiger an einem Tag mit angekündigten  nachmittäglichen Gewitter zeitig ein Frühstück wollte, da Krottenspitzengrat oder Parseier Nordgrat geplant waren, wird merken, dass dort der Bergsteiger Gast zweiter Klasse ist, während sich alles um die Bergschulen mit ihrer tollpatschigen Kundschaft dreht.

Nun ist es unstrittig, dass der Wirt mit seinem anstrengenden Vollzeitjob auch gut verdienen soll. Wenn aber die Hütte nur mehr der Gewinnmaximierung von Bergschulen, Wirten und Sektionen dienen, wird der ursprüngliche Zweck konterkariert.

Unten: Preisentwicklung Alpenvereinshütten im Vergleich zur allgmeinen Preissteigerung

Preissteierung AV Hütten
Preissteigerung Übernachtung Matratzenlager Alpenvereinsmitglied in Hütten der DAV Sektion Allgäu Immenstadt in den letzten 20 Jahren. Die Verbraucherpreise stiegen in diesem Zeitraum um 29%, die Übernachtungspreise um 139%!!!!!!! (Quelle: Jahresberichte der Sektion und http://www.lawyerdb.de/Inflationsrechner.aspx)

Siehe auch: Preissteigerung AV Hütten

Reservierungen

Die neueste Unsitte ist, dass auf einigen Hütten im Allgäu eine Reservierung nur noch über das fragliche Portal „Hüttenholiday“ möglich ist. Eine Auskunft darüber, ob die Verhältnisse die geplante Tour zulassen, erhält der Gast nicht. Meist wird auf die alpine Beratung in Oberstdorf verwiesen. Diese kennen sich aber nicht wirklich aus. Ich hab´s getestet.

Hilfe, Kunde droht mit Auftrag

Wer auf einer mehrtägigen Tour umplanen muss, kann die Hütten telefonisch nicht erreichen, da deren Nummern einem Staatsgeheimnis gleich gehütet werden. Als Grund wird angegeben, dass man keinen  Mitarbeiter für den Telefondienst abstellen könne, da die Leute so viel Mist fragen. Wie kann man als Bergsteiger auch die Unverschämtheit besitzen, sich nach den Verhältnissen zu erkundigen oder die Tour an die herrschenden Bedingungen anzupassen?

Zu den Reservierungssystemen

Wenn ein Reservierungssystem, dann sollte eines ausreichen.  Auch hier sehe ich die Windgällehütte als vorbildlich an. Man kann über Alpsonline buchen, als auch telefonisch reservieren und auch spontan absagen, wenn man unterwegs die reservierte Hütte nicht erreichen kann.   Mit Portalen, wie Hüttenholiday, dass nur über eine teure Mehrwertnummer telefonisch zu erreichen ist und bei dem Zusatzkosten entstehen, sollten  die Sektionen die Zusammenarbeit beenden.

Kein W-Lan

Im Normalfall wären Internet und öffentliches W-Lan auf einer Hütte überflüssig. Wenn aber mittels abschaffungswürdiger Reservierungssystemen und Auskunftsverweigerung jeder Kontakt zum Kunden im Vorfeld  verunmöglicht wird, wird selbiges zur Notwendigkeit um beispielsweise kurzfristig und verhältnisangepasst die Hütte für den nächsten Tag zu buchen und entsprechend zu planen. Nicht jeder besitzt ein Smartphone, zudem ist es ein Unding, auf einem Smartphonebildschirm bei einer schwachen (oder gar nicht vorhandenen) Verbindung eine Online-Reservierung durchzuführen.

Planungssicherheit für den Wirt und Lösungen

Eine Hütte ist kein Hotel und kein Talgasthof. Der Betrieb muss sich nach Wetter, Verhältnissen und den bergsteigerischen  Notwendigkeiten richten.

Es ist nachvollziehbar, dass der Wirt wissen muss, wieviel Portionen er für das Wochenende einkaufen und wieviel (Aushilfs)personal er bereitstellen muss. Wenn für das „Fünf-Gänge-Menü“ frisches Fleisch und Obst eingekauft wird, dass dann weggeschmissen werden muss, da wetterbedingt abgesagt wurde, so ist dies ärgerlich. Die  Zutaten  für Spaghetti Bolognese verderben nicht, auch wenn sie mal länger liegen bleiben, womit wir wieder beim Thema „überflüssiger Komfort“ sind.

Die Motivation eine Hütte zu besuchen ist für mich immer noch, einen bestimmten Berg dann zu besteigen, wenn  das Wetter und  die Verhältnisse passen. Wenn ich gutes  Essen erwarte, besuche ich ein Restaurant im Tal. Wenn wirklich ein bestimmtes Menü, vegane Kost oder sonst was erwartet wird, dann sollte dies natürlich mit Vorbestellung möglich sein.

Der Hüttenwirt, auch ein Alpinberater?

Der Job des Hüttenwirts ist vielseitig. Neben Organisationstalent,  Kochkunst, handwerklichem Geschick wird vielfach noch seine Kompetenz als Alpinberater verlangt. Wer über diese Kompetenz nicht verfügt, pachtet besser einen Talgasthof.

Natürlich ist es schwierig, eine Auskunft zu geben, wenn man die Fähigkeiten des Fragenden nicht einschätzen kann. Deshalb immer sachlich mit unwiderlegbaren Fakten Antworten.

Bewirtung in der Übergangszeit

An schönen Herbstwochenenden sind die Winterräume oft überfüllt. Eine Wochenendbewirtschaftung wäre sinnvoll. Näheres siehe hier

 

Eine gute Webseite spart lästige Rückfragen

Eine gute Webseite mit Infos über Parkplätze, Zustiegen, Ausstattung der Hütte, Ausstattung und Zugänglichkeit des Winterraums erspart, dass die Leute „zu viel Mist fragen“

Gleiches gilt für die Verhältnisse. Eine täglich aktualisierte Kurzinfo darüber reicht aus.

z.B. Letzter Schneefall vor drei Tagen bis 2000 m hinab. Hüttenzustieg trocken und schneefrei. Übergang zur XY Hütte wurde gestern gespurt. Neuschnee bedeutet in diesem Gelände erhöhtes Risiko und Absturzgefahr. Südseitiger Aufstieg zum Z-Horn trotz Schneeresten mit Wanderausrüstung begehbar.

Auskunftsbeispiele

Wie lange braucht vom Luitpold-Haus zum Schrecksee?

Antwort richtig: Das sind in Summe 500 Höhenmeter im Aufstieg und Abstieg bei sechs Kilometer Distanz.

Antwort falsch: Drei Stunden

webseite PLH 2
Schade, ausgerechnet am Prinz-Luitpold-Haus. Service am Bergsteiger – Fehlanzeige. Zudem völliger Quatsch, dass man keine Auskunft erteilen darf.

Ist der Aufstieg auf die Trettachspitze schwierig?

Antwort richtig: Da gibt es Kletterstellen im dritten Grad nach UIAA in überwiegend gutem Fels. Am Nordwestgrat gibt es gebohrte Standplätze, die auch zum Abseilen verwendet werden können.

Antwort falsch: Ja. viel schwieriger als die Mädelegabel. Oder: Nein das geht schon, wenn man bisschen klettern kann.

Kann man nach dem Schneefall den Heilbronner Weg machen?

Richtig: Der Weg wurde gestern gemacht. Es liegen bis zu 30 cm Schnee. Es kann sein, dass die Routenfindung schwierig ist, da es die Spuren eventuell wieder zugeweht hat.

Falsch: Ja, dauert halt bisschen länger. Oder:  Nein, nur mit Bergführer.

 

 

 

 

Wo anders geht´s

Beispiel Oberreintalhütte

Die Hütte ist im Sommer bewirtschaftet. Man kann Getränke kaufen. Das Essen muss jeder selbst mitbringen, beim Wirt abgeben, der es dann gegen eine geringe Gebühr zubereitet. Somit bleibt dieser nicht auf einem Berg Lebensmittel sitzen, wenn wetterbedingt niemand kommt

 Beispiel : Hermann von Barth-Hütte

Im österreichischen Teil der Allgäuer Alpen gibt es eine sympathische Berghütte, die erreichbar ist, mit einem Wirt, der sein Handwerk als Wirt versteht, als auch als kompetenter Alpinberater Auskunft geben kann, über die Bergwelt rund um seine Hütte. So soll es sein.

 

 

Beispiel Windgällenhütte

webseite wingaellenhuette
Screenshot der Webseite der Windgällenhütte. Hier hat man keine rechtlichen Bedenken über die aktuellen Verhältnisse Auskunft zu erteilen. Ein Service am Bergsteiger, wie er sein sollte. Macht Lust darauf, diese Hütte mal zu besuchen.

Der Alpenverein,  Dienstleister und Interessenvertreter für den Bergsteiger

Die Fehlentwicklungen bei der Führung und Reservierungen des Alpenvereinshütten als auch in anderen Bereichen zeigen, dass sich die Alpenvereine zunehmend von dem in der Überschrift genannten Selbstverständnis entfernen. Eine Hütte hat als Schutzhütte für Bergsteiger zu dienen, die Bewirtung muss sich an den Bedürfnissen der Bergsteiger anpassen, nicht der Gewinnmaximierung für die Sektion, Wunschvorstellungen des Wirtes und den Interessen Bergschulen.

7 Kommentare zu „Fehlentwicklungen auf Alpenvereinshütten“

  1. Sehr gut recherchiert und beschrieben! Allerdings hätte ich eine kleine Anmerkung: auch wenn ich aus gesundheitlichen Gründen nicht eine Besteigung eines Gipfels machen kann (soll ja ab und an vorkommen), freue ich mich trotzdem wenn ich eine Hütte besuchen und die Zeit dort genießen kann.
    Weiter so mit dem Blog, freue mich jedesmal über neue Beiträge!

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  2. Ich finde nicht, dass der Übernachtungspreis von 11 € zu kritisieren ist. Wenn zur Instandhaltung Handwerker, Material oder ein Hubschrauber kommen müssen. Für solche gesammelten Kleingelder nimmt kein Handwerker den Zollstock aus der Tasche.

    Das nächste ist, dass der Alpenverein sich, warum auch immer, an seiner gesamten Kundschaft orientiert. Ebenso der Hüttenwirt.

    Wenn 300 Leute eine Nacht auf der Hütte sind, wieviele gehen denn auf einen weglosen Gipfel wie den Kratzer davon? Einer!

    Wieviele gehen auf den Heilbronner Weg? 75? Der Rest sind doch wahrscheinlich Hüttenwanderer? Wenn 2/3 Hüttenwanderer sind, ist es klar, dass die mit ihren bergsteigerfremden Bedürfnisse nun unwiederbringlich 2/3 der Kraft und Ressourcen des Hüttenwirtes verbrauchen.

    Das lässt sich aber nicht wirklich kritisieren. Was soll man dagegen machen? Den Alpenverein fragen, für die Interessen von nunmehr 5 von 100 Mitgliedern einzugehen, wenn die 95 zufrieden sind?

    Gut zureden kann man, diese Bedürfnisse der Minderheit ansprechen. Oder selber für alles notwendige sorgen und nicht mit Hüttenwirt, Flexibilität und Auskunft rechnen.

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  3. Super Artikel!
    Ich sehe diese Entwicklung genauso.

    Man beachte auch die Vergabe von Hüttenpacht. Es werden zumeist völlig Bergunerfahrene ausgewählt. Hanebüchen was hier alles Wirt wird

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  4. Leider auch schon erlebt. Hütte kurz vorm Gletscher. Morgens Diskussion mit dem Wirt wie sich das Wetter wohl entwickeln wird. Er meinte es würde halten und wir hätten jede Menge Zeit. Leider sollte ich recht behalten und später zog ein Gewitter auf. Zum Glück waren wir gerade rechtzeitig runter. Ein Wirt sollte sein lokales Wetter eigentlich kennen!

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  5. Wirlich ein guter Artikel!
    Ich finde vor allem das vor einigen Jahren erhöhte Reservierungskontingent auf 90% bedenklich. Da wird man fast schon gezwungen mehrere Tage zu reservieren da man ansonsten schlicht keinen Platz auf einer Schutz(!)hütte mehr bekommt. Statt dem Wetter geben nur die Monate im Voraus nötigen Reservierungen den Tourverlauf vor.

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